Prüfung 18.12. Lichtenberg

#1 von Thomas Rehork , 23.12.2015 21:00

Prüfung am 18.12. in Lichtenberg
Lieber Herr Rehork,
würden Sie bitte meinen Prüfungsbericht auf Ihrer Seite veröffentlichen?
Schließlich habe ich in der Vorbereitung von den hier gesammelten Berichten anderer profitiert. Und die Idee des freizügigen Teilens ist mir weitaus sympathischer, als einem Kursanbieter mit meinem Bericht gratis einen Marktvorteil zu verschaffen. ;)
Prüferin: Frau Fröhmel, Sozialpsychiatrischer Dienst Lichtenberg
Beisitzerin: Frau Grebener, Heilpraktikerverband
Ablauf
Ganz kurz: Ich empfehle, rechtzeitig da zu sein, um sich anzumelden und mit dem zweiten Prüfling über die Reihenfolge zu einigen. Prüferinnen und Atmosphäre waren, wie schon häufig berichtet, superangenehm und unterstützend.
Teil 1, Fragen zu Gesetzen und Berufsausübung
Sinngemäß: Wenn Sie feststellen, dass Sie einem Patienten nicht helfen können, was schlagen Sie ihm dann vor? Erläutern Sie das Richtlinienverfahren.
[Puh, Erleichterung!]
Ich hangele mich an folgenden Fragen entlang:
1. Kann und will ich den Patienten nicht behandeln, weil ich dafür nicht qualifiziert bin und meine Sorgfaltspflicht verletzen würde?
2. Darf ich den Patienten nicht behandeln, weil er in eine Entzugsklinik, in psychiatrische oder fachärztliche Behandlung müsste?
3. Ist der Patient vielleicht finanziell gar nicht in der Lage (kleiner Schwenk zur Aufklärungspflicht), sich von mir behandeln zu lassen? [Zustimmendes Nicken]
Dann empfehle ich ihm gegebenenfalls eine Psychotherapie nach dem Psychotherapie-Gesetz. Das geht folgendermaßen:
1. Erstzugangsrecht mit Versicherungskarte
2. Fünf Probatorische Sitzungen, auch mehrmals möglich
3. Einigung zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in
4. Einholen eines Konsiliarberichts bei Hausarzt/ärztin durch die Psychotherapeut*in.
5. Bewilligung
Ich frage nach, ob ich die die von der Kasse bezahlten Therapieformen auch nennen soll. „Ja, gerne.“
Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte und Verhaltenstherapie.“ „Vielen Dank!.“ [erster Teil geschafft!]
Die Frage meines Mitprüflings bezog sich auf die ICD-10 – sinngemäß:
„Wo sind die psychischen Erkrankungen beschrieben? Nennen Sie die wesentlichen Bereiche und was sie behandeln dürfen.“
Nach einer kurzen Pause wegen eines Notrufs folgt Teil 2, die Fallfragen. Selbst der Fauxpas meines Mitprüflings, seine Karte schon zu lesen, winkt die Prüferin mit einem „Macht nichts!“ durch.
Teil 2, Fallfragen
Ich ziehe eine grüne Karte und lese vor, sinngemäß:
„Mann, 28, kommt auf Empfehlung seiner Schwester in Ihre Praxis. Er hat vor zwei Jahren seine Arbeit verloren. Er ist verunsichert und niedergeschlagen; hat das Gefühl, nichts wert zu sein. Er verlässt kaum mehr das Haus. Erläutern Sie Ihre differenzialdiagnostischen Erwägungen.“
Ich darf die Karte auf Nachfrage vor mir liegen lassen und auf meine Anmerkung „Ach, das ist das berühmte eine Din A5-Blatt – mal sehen, wie ich mein Wissen da drauf kriege.“ weist Frau Fröhmel auf das Sideboard hinter mir: „da ist noch ein Stapel, wenn sie mehr brauchen.“ [Da haben wir in meiner Lerngruppe also ganz umsonst vier Wochen lang geübt, wie wir mit einem Bleistift das Maximum an Struktur und Inhalt auf die zwei Seiten eines A5-Blatts kriegen!] Auch die fünf Minuten Vorbereitungszeit dauern jeweils so lange, bis wir aufschauen und ankündigen, dass wir gern beginnen würden.
Nach meinem Gefühl ist es gut, schon beim Aufschreiben eine Struktur zu haben und zu zeigen, dass in dem Kopf was drin ist ;). Ich hatte eine Mindmap für die Anamneseschritte und eine Tabelle – nicht pathologisch, organisch/exogen, endogen, psychogen für die Verdachtsdiagnosen.
Ich nenne zunächst meine allerersten Diagnoseideen – „depressive Episode, Dysthymia (Mindestdauer nach ICD-10: zwei Jahre), Anpassungsstörung (hier wäre die Dauer schon etwas lange).“
Dann erläutere ich mein Vorgehen zur Anamnese und füge an entsprechender Stelle die in der Fallbeschreibung enthaltenen Punkte ein.
• Begrüßung und erster Eindruck
• Die relevanten Aspekte des psychopathologischer Befunds (Bewusstsein-Orientierung-Gedächtnis-Intelligenz-Denken-Ich-Erleben-Wahrnehmung-Affekt-Antrieb) laufen während der Anamnese im Hintergrund mit
• Aufnahme der Beschwerden und Begleitsymptomatik
• Neurologische und internistische Abklärung, Befunde abfragen
• Zeitliche Aspekte: Seit wann? Wann (z. B. Schlafstörungen, Grübeln)? Wie oft? Wie lang?
• Umfeld: Familie (wie ist es mit der Schwester?), Freizeit, Arbeit(slosigkeit) …
• Mögliche Auslöser
• „Ja, und jetzt kommt bei diesem Fall natürlich die Abklärung der Suizidalität: Gibt es Hinweise eine soziale oder dynamische Einengung, Aggressionsumkehr, Todesfantasien? Wenn ja, in welchem Stadium nach Pöldinger befindet sich der Mann: Erwägung, Ambivalenz, Entschluss? In letzterem Fall gemeinsam in die Klinik oder Unterbringung nach PsychKG. Im Ambivalenzstadium wäre die Zeit auch sehr knapp.“
Jetzt nenne ich weitere Diagnoseideen: Angststörung wie Agoraphobie und soziale Phobie, Persönlichkeitsstörung (selbstunsicher-vermeidend, asthenisch).
Dann geht es wie zuvor weiter durch meine Anamnese:
• Psychotrope Substanzen? Trinkt er? Nimmt er Drogen? Medikamente?
• Wie wirken sich die Probleme aus? Leidensdruck? (Hat er überhaupt einen Leidensdruck, ist er freiwillig hier oder von seiner Schwester überredet worden? Hat er sich vielleicht in der Arbeitslosigkeit ganz gut eingerichtet?
• Erwartungen, Zielsetzung? Worauf soll die Therapie hinauslaufen? Stärkung des Selbstwerts und mentale Unterstützung bei der Arbeitssuche? Falls es eine depressive Episode oder Dysthymia ist: Behandlung durch Psychiater. Phobien zur Verhaltenstherapeut*in.
Nachfrage Frau Fröhmel: „Und wie unterscheiden Sie die Persönlichkeitsstörung von den anderen Verdachtsdiagnosen? Meine recht oberflächliche Antwort: „Eine Persönlichkeitsstörung würde schon viel länger bestehen.“, scheint der Amtsärztin zu reichen. Keine weiteren Fragen; mein Mitprüfling ist dran. Ich bin in dem Moment eigentlich schon sicher, bestanden zu haben und entspanne mich.
Seine Frage ist recht umfangreich, ich kriege sie nicht mehr ganz zusammen:
„Frau Mitte 30 kommt in die Praxis. Sie hat kein Vertrauen mehr in Psychotherapeuten, Psychiater, Sozialarbeiter. Nur Ihnen würde sie vertrauen. Sie berichtet, dass sie darüber nachdenke, sich umzubringen. Unvermittelt wechselt sie das Thema, erzählt von ihrem Buchladen und den Hunden. Dann lädt sie Sie zu einer Tupperparty ein. [Ich kann mir ein amüsiertes Prusten über diese einfallsreichen Fallgeschichten nicht verkneifen, scheint mir aber nicht negativ ausgelegt worden zu sein.] Erläutern Sie Ihre Vorgehensweise. Welche weiteren Informationen benötigen Sie?“ [und noch eine Frage, die mir entfallen ist]
Mein Mitprüfling nutzt die ICD-Struktur und verhakt sich mehrmals im Suizidthema. Ich bin grade in Fahrt und denke innerlich „Suiziddrohung, rapide Stimmungswechsel, zwischen intensiver Nähe und demnächst wahrscheinlich Ablehnung, Borderline, dialektisch-behavioral …“ Der Kollege nennt neben Multipler Persönlichkeit und diversen anderen Möglichkeiten auch Persönlichkeitsstörungen, kommt dann aber wieder vom Weg ab, kann sich nicht zu einer Verdachtsdiagnose durchringen. Die Prüferin hakt nach. Auf die Frage, welche Persönlichkeitsstörung sie meint, bekommt er eine Antwort: „Borderline“ und erläutert dann die Therapieoptionen – Verhaltenstherapie und EMDR. [Das hätte ich nicht gedacht, muss ich mal nachlesen …].
Wir werden kurz rausgeschickt, ich schaffe es nicht einmal auf die Toilette, da wird uns schon verkündet: „Ihre Erläuterungen waren sehr gut strukturiert, Sie haben beide bestanden.“ und wir dürfen im Büro die Rechnung für die Prüfungsgebühr abholen.
Dass ich die Diagnosensturzflut im Kopf vorläufig abstellen kann, habe ich es erst vier Tage später begriffen.
Alles Gute für die Nachfolgenden wünscht
Birgit

 
Thomas Rehork
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RE: Prüfung 18.12. Lichtenberg

#2 von Thomas Rehork , 23.12.2015 21:05

Liebe Frau Birgit,

ich hoffe, dass eine gewisse Kenntnis über die Art dieser Prüfungen ganz allgemein dazu beiträgt, dort einen Vorbereitungskurs zu belegen, wo offenbar die Sachkenntnis vorhanden ist, und weniger die Show-Kompetenz oder die Selbstinszenierung, wie es leider so oft der Fall ist.

Übrigens: Die dialektisch-behaviorale Therapie ist eine Variante der Verhaltenstherapie, und, wenn die Borderline-Störung im Zusammenhang mit einer Traumatisierung steht, ist auch Traumatherapie (mit z.B. EMDR) angezeigt.

Freundliche Grüße
Thomas Rehork


 
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