Lieber Herr Rehork,
ich hab's auch geschafft. Danke für die gute Vorbereitung in Ihrem Kurs!
Falls mal jemensch wissen will, wie die mündliche Prüfung für den HP-Psych in Sachsen so läuft, ist hier mein Gedächtnisprotokoll:
- Begrüßung und Vorstellung, (Amtsärztin, Heilpraktiker, Protokollantin)
- die Frage, ob ich mich gesund fühle
- Amtsärztin erklärt, dass man mir jetzt einen Fall vorstellen wird, wie er zu mir in die Praxis kommt
- Ob ich noch Notizen zu meinem Frage-Schema machen wolle?
- Zettel und Stift liegen bereits vor mir als ich an meinen Platz komme, also notiere ich mir kurz die Stichworte zur Erfragung der Anamnese und des Befundes, die ich auswendig gelernt hatte
- Die Amtsärztin erklärt mir noch, dass die Daten des Patienten in unserem Fall bereits aufgenommen wurden.
- Der Heilpraktiker erklärt an mich gewandt: Er stelle einen Mann von 42 Jahren dar, ihm wächst alles über den Kopf, er wird von seiner Mutter geschickt, er solle da mal Hilfe annehmen, um wieder zu Klarheit zu kommen.
- Ich will der Prüfungskommission erklären, dass ich ihn nach der Begrüßung im Smalltalk befrage, wie er hergekommen sei, ob er leicht einen Parkplatz gefunden habe, wie es ihm gehe (damit ich als Therapeut in diesem Smalltalk Gelegenheit habe, auf Bewußtsein, Orientierung, Äußeres, Stimme, Gebahren, Mimik, Geruch...) zu achten, aber werde "vorwärts gespult" und soll gleich "losspielen"
Okay, das irritiert mich etwas, da die Inaugenscheinnahme insb. das Erkennen von Symptomen schlecht gespielt werden kann, aber anyway, ich beginne mit der Befragung. Und mache dem Klienten erstmal ein Kompliment, dass er sich hier her getraut hat. Vielen Menschen falle es ja nicht so leicht, sich Hilfe zu suchen. Im Verlauf der Befragung stellt sich heraus, dass der Klient:
- wegen seines Berufes alle 2 Jahre ärztlich untersucht wird, was bisher keine Befunde ergab
- diffuse Zukunftsängste hat, seine Arbeit macht ihm zu schaffen
- es ist alles sehr viel für ihn
- nicht suizid-nah, sein kleiner Sohn (2 Jahre alt) ist ihm sehr wichtig
- es gibt keine Vorerkranungen
- er arbeitet als selbständiger Dachdecker
- Frage nach Antriebsschwierigkeiten beantwortet er mit "Muss ja weitergehen"
- Entspannung findet er am Wochenende
- Urlaub mit Freundin wird für ihn nach drei Tagen anstrengend, er will immer etwas tun
- keine körperlichen Symptome
- keine Veränderungen der Symptome im Tagesverlauf
- hat Interesse an einer bestimmten Art und Weise Dächer (mit kleinen Zwiebeltürmen) zu decken, wirkt auch sehr begeistert, wenn er darüber spricht
- denkt darüber nach, in die Politik zu gehen, weil es so nicht mehr weitergehen könne
- trinkt gern 2 bis 3 Bier am Abend
- keine einschneidenden Erlebnisse in Kindheit, Jugend oder neulich
- keine Verursacher des Alles-über-den-Kopf-Wachsend bekannt
- während der Wehrpflicht einen Unfall bei einer Übung, aber war alles harmlos
- Zwangsgedanken: ja das Grübeln über seine Arbeit als selbständiger Dachdecker
- Zwangshandlungen: naja, er deckt gerne Dächer, am liebsten auch mal was Kompliziertes
Bis hier liegen eine Menge Lunten aus. - Beim Nachfragen zündet leider keine so richtig:
- Die Zukunftsängste lassen mich an Depression denken, aber Appetit und (wie es der HP darstellt) Lust auf Essen (insbesondere Fleisch) ist groß, Bedrücktheit und Morgentief scheinen nicht da, bzw. werden mit einem "Muss ja weitergehen" weggewischt, auch Interessen haben nicht nachgelassen, Schlaf ist okay
- Überwertige Idee/Wahn was mit der Politik anklingt, wird auf Nachfrage entschärft (er will in den technischen Ausschuß des Dorfes um handwerkliche/technische Abläufe zu verbessern, mit denen er sich wegen seiner Ausbildung auskennt), außerdem sei er im Dorf und im Fußballverein gut vernetzt, die Leute hätten Vertrauen zu ihm
- Manie: kein verminderter Schlaf
- PTBS durch Unfall während Wehrpflicht: nur bisschen am Fuß eingeklemmt gewesen.
- Abhängige Persönlichkeitsstörung: Ja, die Mutter hatte schon immer eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit, aber er war auch oft auf sich gestellt, hat seine Ausbildung in der Schweiz alleine gemacht etc.
- dieses Getriebensein "muss ja" erinnerte mich auch an Narzissmus, er hat aber viele Freunde, mit denen er gut zurechtzukommen scheint
- ADHS: war zwar nicht der Beste in der Schule, aber die Mutter hat schon dafür gesorgt, dass er durchkommt. Auch keine Geschichten Richtung Klassenclown bekannt.
- der bipolare oder manische Zahn hat auch nicht gewackelt: er hat keine depressive Stimmung (sagt er jedenfalls) und Phasen in denen er sich mehr zutraut und selbstbewusster ist als sonst, hat er nur, wenn er Dachziegel auf eine besonders schöne Art verlegen kann. Damit kennt er sich durch seine Ausbildung in der Schweiz aber halt auch verdammt gut aus.
Abhängigkeit: kann nach eigenen Angaben problemlos aufhören mit Alkoholtrinken. Gerade, wenn er am nächsten Tag wieder arbeiten muss.
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Ich bin hier mit meinem Latein am Ende. Hab keine zündende Idee, was mich etwas verunsichert. Ich sage, dass ich die Befragung so in der Art gestalten würde.
Die Amtsärztin, die im Gegensatz zur Protokollantin, die die ganze Zeit freundlich geschaut hat, fleißig mitgeschrieben hat, fragt: Was würden Sie jetzt mit dem Mann machen?
Ich erkläre kurz meine Verdachtsdiagnosen durch (Abhängige Persönlichkeitsstörung/Generalisierte Angststörung/Depression/Dysthymia) komme aber zu dem Schluß, dass eine Alkoholabhängigkeit im Vordergrund steht (gerade für Dachdecker extra gefährlich) dass ich ihm zu einer Behandlung des Alkoholproblems raten würde. -Was würde ich tun, wenn er sich nicht einsichtig zeigt?
Ich meine, dass die Umsetzung dieses Rates am besten auch mit Unterstützung seines Hausarztes passieren könnte. Amtsärztin fragt mich, wie ich dessen Unterstützung "anfordern" würde. Meine Antwort "ihn anrufen und fragen" kontert sie mit "der würde sie aber nicht ernstnehmen, wenn sie etwas von ihm wollen". Sie hilft mir auf die Sprünge, dass ich eine Einverständniserklärung meines Klienten brauche. Uups, ja klar, hatte ganz vergessen, dass ich ja auch schweigeverpflichtet bin.
Dann fragt sie mich noch nach den Dimensionen der Orientierung. Als ich die nennen kann, meint sie, ich hab bestanden.
Mich hat irritiert, dass die Ärztin die ganze Zeit geschrieben hat. Es gab während der Befragung keinerlei (körper-)sprachliche oder sonstige Rückmeldung, ob ich total daneben liege, oder ob alles okay ist. (Oder ich hab sie nicht erkannt.) Die Atmo war nicht unfreundlich, aber auch nicht sonderlich freundlich. Die Amtsärztin wirkte latent genervt und ungeduldig. Wie viele Menschen wirkten, die ich auf Ämtern schon kennenlernen konnte. Der Heilpraktiker konnte den Fall sehr glaubhaft durchspielen. Und hat während der Prüfung auch nichts anderes gemacht.
All in all war ich nach 30 Minuten durch. =)