Sehr geehrter Herr Rehork,
da mir Ihr Forum bei der Vorbereitung auf die mündliche Überprüfung so sehr geholfen hat, dass ich doch nicht mehr in Ihren Kurs kommen kann, möchte ich etwas „zurückgeben“, indem ich mein Prüfungsprotokoll – mit 2 im Forum bisher noch nicht genannten Karten – schicke. Sie dürfen es gerne unter meinem Vornamen veröffentlichen:
Ich hatte heute meine mündliche Prüfung bei Frau Dr. Wieble, Ärztin im Gesundheitsamt Lichtenberg, keine Beisitzerin.
Meine Prüf-Genossin und ich waren eine halbe Stunde vorher da – was gut war, denn die vorherige Prüfung war früher zu Ende und wir begannen eine Viertelstunde vor der Zeit. Wir waren allerdings die letzten Prüflinge an diesem Tag. Das Highlight war übrigens, dass ich von meiner einen Karte „Ebola, Ebola, Ebola!“ vorlas und als Antwort draußen im Tierpark die Tiere vor Freude laut schrien, weil sie gefüttert wurden. (Wir wurden zum Glück vorher auf die Fütterungszeremonie hingewiesen, sonst hätten wir sicher einen Schreck bekommen.)
Die Atmosphäre war freundlich-wohlwollend, es wurde auch einiges erklärt, aber trotzdem genau nachgebohrt. Die Ärztin hat ein humorvolles schauspielerisches Talent, spielt sehr überzeugend und es wurden ausgedehnte Dialoge gehalten / gespielt. Außerdem spricht sie sehr schnell und die Prüfung hatte ein hohes Tempo, man musste schnell denken und reagieren. Insgesamt waren wir etwas über 1,5 Stunden drin.
Wir mussten beide je 2 weiße Karten aus unterschiedlichen Stapeln ziehen. (Eventuell waren wir bei der ersten weißen Karte zu unsicher? Keine Ahnung.) Die grünen legte sie jedenfalls weg.
Die 5 Minuten Vorbereitung bei der 2. Frage wurde mit dem Handy exakt gestoppt.
Da uns beiden egal war, wer anfängt, fing ich an. Ich zog eine abgegriffene Karte – bekam aber keine der Fragen, die hier im Forum bereits erwähnt wurden:
Ihre 92-jährige Großtante ist dement und lebt im Pflegeheim. Sie haben eine Vorsorgevollmacht. Ihnen wurde berichtet, dass Ihre Großtante in letzter Zeit Pfleger und Mitpatienten gekniffen und gebissen hat.
Wie gehen Sie vor?
Ist eine Einweisung nach dem BTG möglich?
Ist eine Einweisung nach dem PsychKG möglich?
Kurzform der Antworten/Dialoge:
Da ich an der Mimik der Ärztin merkte, dass mein erster Satz falsch war (ich konnte mit dieser Vollmacht / dem Bevollmächtigten nichts anfangen, da hatte ich eine Verständnislücke), beschloss ich kurzerhand, die Frage von hinten aufzuzäumen:
PsychKG: Ja, da fremdgefährdend.
Wie das abläuft? SPD/Krisendienst. – Prüferin: Die sind alle beschäftigt, es springen gerade 3 Leute vom Hochhaus.
Polizeipräsident von Berlin darf nach PsychKG ebenfalls… - P: Es ist 18:30, der ist schon zu Hause und hat heute keine Lust mehr vorbeizukommen.
Polizisten im Auftrag des Polizeipräsidenten. Psychiatrische Klinik / Abteilung. Kurzer Untersuchungsbericht des aufnehmenden Arztes. Richter mit einstweiliger Anordnung am Folgetag. – Hier wurde ich unterbrochen. Wichtig war ihr, dass ein unabhängiger Arzt (ab 10 Uhr sprang keiner mehr vom Dach und so konnte jemand vom SPD kommen) die Kranke untersucht, ein ärztliches Gutachten erstellt und dann erst der Richter kommt.
BTG: Hier keine Unterbringung möglich.
Der Vollständigkeit halber Ablauf nach dem BTG (wenn Voraussetzungen erfüllt wären) erläutert, mit Vorsorgevollmacht für Aufenthaltsbestimmung darf ich das vornehmen. Hier wurde mir unter die Arme gegriffen und das mit der Bevollmächtigung erklärt.
Wichtig war ihr (auch im späteren Verlauf), dass das PsychKG ein Notfallgesetz ist und das BTG Unterbringung zum Zwecke von Heilbehandlungen ermöglicht.
1. Frage der Mitstreiterin:
Erklären Sie ausführlich die Unterbringungsmöglichkeiten nach dem PsychKG!
Diese musste sie wieder abgeben, da dies gerade zuvor beantwortet wurde und bekam eine andere, hier schon mehrfach erwähnte:
Für welche Aufgabenbereiche kann eine Betreuung eingesetzt werden?
Welche Unterbringungsmöglichkeiten bestehen nach BTG?
Ist nach BTG oder PsychKG eine ambulante Zwangsbehandlung möglich?
Am Anfang war sie so fit, dass mir die Ohren schlackerten, am Ende wurde ihr aber auch wohlwollend geholfen.
Hier wurde auch nach dem Einwilligungsvorbehalt gefragt und was wäre, wenn sie Betreuerin für Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt wäre und ihr betreuter Maniker schon 3 Mercedes gekauft und zu Schrott gefahren hätte. (Sie kann den Vertrag rückabwickeln, das ist das Risiko des Autohauses.)
Meine 2. Frage, wieder griff ich eine abgegriffene Karte, wieder keine aus dem Forum:
Ein 37-jähriger Chemiker kommt zu Ihnen, da ihn die jahrelange Erkrankung seines Vaters schwer belastet.
3 Monate nach dem Tod des Vaters treffen Sie ihn, um mit ihm über den Umgang mit dem Tod des Vaters zu sprechen. (so ungefähr)
Der Mann wirkt von Anfang an sehr angespannt und erregt. Im Laufe der Sitzung zieht er sich vollständig aus, murmelt immer wieder die gleiche chemische Formel.
Schließlich versteckt er sich unter ihrem Schreibtisch und ruft dabei immer wieder: „Gefahr, Gefahr, Gefahr!“ und „Ebola, Ebola, Ebola!“
Wie sind Ihre differentialdiagnostischen Überlegungen?
Wie gehen Sie weiter vor?
Achtung: Diese Frage ist 2-gliedrig und es wurden von mir doppelte differentialdiagnostische Überlegungen gefordert. Das war mir nicht klar, ich betrachtete nur den Gesamtfall und musste daher anfangs ziemlich improvisieren.
Dabei habe ich dann erstmal danebengehauen, weil ich an den ja erst später erwähnten 3 Monaten hing und was von Anpassungsstörung erzählte, später wurde ich dann auf die jahrelange Besorgnis um den Vater hingewiesen.
1. Teil der Frage (vor Tod des Vaters): Es wurde ein Dialog gehalten, in dem ich herausfinden sollte, ob der Patient depressive Symptome hat. Suizidalität wurde deutlich verneint. Prüferin spielte einen ziemlich aufgedrehten, gereizten, ungeduldigen Menschen ohne Zeit und mit Workoholic-Auftreten, der sich zusätzlich zu den Sorgen um seinem kranken Vater und der darunter leidenden Mutter noch kreisende Gedanken um Flüchtlinge und den Weltfrieden machte, alleinlebend, keine Freunde mehr. Schlaf ok, wenn nicht gerade nachts arbeitend, Appetit ok, aber keine Zeit zum Kochen.
Ich begann mit gereizt-hypoman, mir wurde dann aber gesagt, dass der Patient sich schon jahrelang so verhalte und das sei für eine hypomane Phase zu lang. Also: leichte, agitierte Depression (Prüferin: „Male-Depression“), nicht-suizidal;
Vorgehen: Abklärung beim Arzt (Ausschluss organischer Erkrankungen, z.B. Hyperthyreose), sedierende Antidepressiva, in Absprache mit Arzt unterstützend: Aufbau von Genuss/ freudvollen Aktivitäten, wobei ich auch da bald unterbrochen wurde und mir gesagt wurde, der hätte einfach kein soziales Umfeld mehr durch seine ganze Arbeit und könne jetzt auch nicht mehr einfach so Smalltalk führen und ein soziales Umfeld aufbauen.
2. Teil der Frage (nach Tod des Vaters): Ich begann mit paranoider Schizophrenie, wurde aber auf das Alter hingewiesen (für erstes Auftreten zu alt) und die Prüferin ergänzte, dass Schizophrenien bei Belastung auftreten und ein Chemiestudium sehr belastend sei - das hätte der gar nicht geschafft. Also: gereizt-manische Symptome, Prüferin nannte von sich aus schizoaffektive Psychose und wollte dann das Wort „bipolar“ von mir hören. Manie kann auch mit Wahn einhergehen, war hier wichtig. Differenzialdiagnose: Psychotrope Substanzen, nach deren Konsum können Halluzinationen oder Wahn auftreten, wurde nicht weiter nachgefragt.
Vorgehen: Ich: „Beruhigend auf ihn einreden.“ Prüferin rief daraufhin chemische Formeln, Gefahr und Ebola, wir mussten alle lachen. Ok, funktionierte nicht.
SPD – „Es ist 18:30 Uhr.“ – Krisendienst war mit weiteren Vom-Hochhaus-Springenden beschäftigt.
Rettungswagen + Polizei. Die sollen den direkt dem Personal in der Notaufnahme übergeben. Prüferin: „Klar, die Polizei setzt auch ständig Psychotiker aus, damit sie alleine in die Notaufnahme gehen.“ (Auch das humorvoll.)
Prüferin: „Was wäre noch nett von Ihnen?“ - „Dem Mann eine Decke leihen oder beim Ankleiden helfen, damit er nicht nackt auf die Straße muss.“
Prüferin: „Das ist nett. Und was noch?“ - „Angehörige informieren.“
P: „Das auch, was denn noch?“ – „Den Rettungsassistenten und der Polizei meine Verdachtsdiagnosen mitteilen.“
P: „Die Rettungsassistenten vergessen das und Polizisten reden eh nicht viel.“ – „Am folgenden Tag Kontakt mit dem behandelnden Arzt in der Klinik aufnehmen.“
Antwort sollte sein: Meine Kontaktdaten oder Kurzbericht mitgeben.
Das reichte offenbar.
Mitprüfling, 2. Frage: Der hier schon erwähnte 26-jährige WG-Mitbewohner, der Nahrungsreserven angelegt, die Küche mit Alufolie abgeschirmt hat und Handy und PC aus der Wohnung haben möchte. Auch hier wurde ein sehr humorvoller und überzeugender Dialog gespielt. Als die Mitstreiterin beim SPD anrufen wollte, sprangen wieder Leute von Hochhäusern und am Folgetag war der SPD geschlossen, weil alle krank waren.
Die Prüferin ergänzte noch, dass solche Mitbewohner Patienten wären, die vom SPD beobachtet und immer mal wieder besucht würden. Irgendwann würden sie meist verwahrlosen oder aufhören zu essen und dann läge eine Selbstgefährdung vor, über die eine Unterbringung / stationäre Heilbehandlung möglich wäre. Nach Ende der Prüfung sagte sie, dass Maniker schwerer zu behandeln wären, weil sie noch so weit klar wären, dass sie aus der Unterbringung entlassen würden müssten und dann weiterhin ihre Familie in den Ruin treiben würden.
Beim Rausgehen gratulierte sie uns.
Ich wünsche euch allen viel Erfolg und denkt bitte dran: Nicht zu nahe an Hochhäusern vorbeilaufen!
Constanze