Lichtenberg 25.11.2021

#1 von MHartmann , 25.11.2021 21:28

Protokoll der mündlichen Prüfung am 25.11.21 in Lichtenberg

Prüfer war Herr Elias, ein ca. 40jähriger Arzt beim Sozialpsychiatrischen Dienst. Das Kind der Beisitzerin war krank, deshalb nur ein Prüfer. Er sagte nach seiner Vorstellung, dass ich, wenn ich wolle, auch noch ein paar Sätze zu mir sagen kann, das habe ich aber ultrakurz gehalten (Ich heiße xy, habe bisher im kaufmännischen Bereich gearbeitet und möchte jetzt HP werden), da ich nichts über meine Therapieform NARM sagen wollte, damit sie nicht u.U. aufstößt. Er fragte noch, ob ich mich in einem Kurs vorbereitet habe – Ja, plus Lerngruppe.

Dann bekam ich eine Gesetzesfrage überreicht:
1. Was ist die Funktion des SPD in Berlin?
2. Wie steht das im Zusammenhang mit dem PsychKG? (oder so ähnlich, völlig unpräzise formulierte Frage)
3. Was wissen Sie über den Berliner Krisendienst?

Zu 1. habe ich die Aufgaben des SPD laut PsychKG aufgezählt.

Dann Frage 2 noch mal vorgelesen und gefragt, ob ich dazu vielleicht mal erzählen soll, wie das abläuft, wenn der SPD von einem potenziell psychisch Kranken mit Gefährdung erfährt (wie im Lehrmaterial von H. Rehork). Da war es ihm dann wichtig zu erklären, dass das nicht immer so wie es da vielleicht im Gesetz steht abläuft, sondern das immer im Einzelfall abgeklärt wird, ob ein Hausbesuch eher angekündigt wird oder unangekündigt, ob ein Demenzkranker ein Schreiben überhaupt verstehen würde, ob eine Untersuchung unter Zwang wirklich notwendig ist, weil ja schon sehr eingreifend – es war ihm wichtig, dass der SPD immer nur wirklich notwendige Schritte unternimmt, wollte kein so übergriffiges Bild stehen lassen. Er fragte, wie eine Unterbringung konkret ablaufe bei Notfällen (SPD und Polizei kommen, versuchen ihn zum freiwilligen Mitkommen zu bewegen, sonst gegen seinen Willen, bis Ablauf des Folgetages muss ein Richter vorbeikommen um die einstweilige Anordnung auf Unterbringung auszusprechen). Wer die Unterbringung beantrage beim Richter (der SPD). Wer ihn konkret in die Klinik bringe? – Ich habe etwa richtig geraten: Nicht die Polizei, sondern die Feuerwehr! Denn es sei ja ein Kranker. Ein Polizist fahre dann mit. Welche Berufsgruppen beim SPD arbeiten? (Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter,…) – und Verwaltungsangestellte! Was denken Sie, welche Berufsgruppe am häufigsten vertreten ist? - Sozialarbeiter. - Richtig.

Zu 3.: Anlaufstelle bei allen Krisen, vor allem telefonisch, aber auch vor Ort, anonym (im Gegensatz zum SPD, war ihm wichtig zu betonen). Machen akute Krisenintervention, aber auch kurze und ausführliche Beratung für Menschen in Krisen oder Angehörige, können Hilfen wie Selbsthilfegruppen etc. empfehlen. Sind von 16-24 Uhr Anlaufstelle für Unterbringungen, nachts und am Wochenende gibt es einen überregionalen Bereitschaftsdienst für ganz Berlin. Er fragte, ob der Krisendienst auch Menschen unterbringen dürfe. Ich sagte (da die Frage schon so unterscheidend klang), dass sie auch Menschen zusammen mit der Polizei (und Feuerwehr, wie ich jetzt wusste) in die Klinik bringen können, aber dass diese dann dort nur aufgrund der hoheitlichen Gewalt der Klinik festgehalten werden dürfen, wenn der diensthabende Arzt das auch für nötig hält. (Richtig, Unterbringungen anordnen dürfen nur der SPD und die Polizei in Zusammenarbeit mit den Kliniken mit hoheitlicher Gewalt, der Krisendienst kann aber natürlich die Polizei beraten, da die Beschäftigten die bessere psychologische Ausbildung haben.) Wie viele Bezirke hat der Krisendienst? Ich habe 8 geraten, es sind 9. Und der SPD? 16, für jeden Bezirk einen? Genau, das sind dann aber nur 12.

Dann bekam ich eine Fallfrage überreicht (also wieder nicht ziehen, ich nehme an, sie haben keine Lust, jedes Mal alle Karten zu desinfizieren, ich wurde nämlich bereits im Sekretariat leicht getadelt, weil ich keinen Stift dabeihatte). Die 5 min Zeit zum Notieren nutzte ich nur, um Prüfungszeit verstreichen zu lassen – den Fall kannte ich aus anderen Prüfungsprotokollen: Die 33jährige Frau eines ehemaligen Bundeswehrsoldaten kommt zu mir, weil ihr Mann sich immer mehr zurückziehe, manchmal abwesend wirke, nachts aus dem Schlaf hochschrecke und abends regelmäßig Wein trinke.

Verdachtsdiagnose: Posttraumatische Belastungsstörung, dafür spricht der (ehemalige) Beruf, das nächtliche Aufschrecken, der soziale Rückzug und der Versuch, das mit Alkohol zu betäuben. Ich rate seiner Frau, ihn zum Facharzt für Psychiatrie zu bewegen, wo er Antidepressiva bekommt und eine Traumatherapie.
Wie sieht die aus? – Verhaltenstherapie mit Exposition, er muss also zum Beispiel das Trauma immer wieder erzählen oder aufsprechen und sich immer wieder anhören, so dass eine Reizabflachung stattfindet. Evtl. auch mit kognitiver Verhaltenstherapie arbeiten, also z.B. bei Flashbacks realisieren, dass die Situation vorüber ist. Alternativ EMDR. Vorher sollte er aber stabilisiert werden, durch Antidepressiva, und die Suizidalität muss natürlich abgeklärt werden. – Was muss noch in dieser Stabilisierungsphase geschehen? – Fiel mir nicht so richtig ein, gewünschte Antwort: Entspannungstechniken lernen, auf die er dann auch bei der Exposition zurückgreifen kann, außerdem Herstellung einer guten Beziehung zwischen Therapeut und Patient sowie Psychoedukation über die Krankheit.

Der Patient bekommt in ihrer Praxis einen Flashback, was machen Sie? – Beruhigend auf ihn einsprechen, ins Hier und Jetzt holen, klarmachen, dass die Situation vorüber ist, Blickkontakt suchen, ihn anleiten, in den Körper zu spüren, evtl. auch vorsichtig berühren. – Genau, evtl. auch in Bewegung bringen, ihn sich kneifen lassen.
Was sind die diagnostischen Kriterien für PTBS? Ein belastendes Erlebnis, das bei den meisten Menschen ein Trauma auslösen würde, vor max. 6 Monaten, plus Flashbacks tagsüber oder Albträume. Nicht zwingend, aber oft dazu noch: sozialer Rückzug, Hypervigilanz, Absterben von Gefühlen gegenüber geliebten Menschen, Schlafstörungen, Vermeiden von Auslösern für Flashbacks. – Genau, auch Ängstlichkeit und Reizbarkeit.

In welchen Fällen würde man außerhalb der Bundeswehr wohl eine PTBS bekommen? – Beim Erleben eines Autounfalles, bei dem jemand stirbt oder viel Blut ist, bei einer Vergewaltigung, bei Geiselnahme, wenn man, auch beruflich, z.B. an einer Maschine in eine lebensbedrohliche Situation kommt… - Wann würde man eher eine PTBS bekommen, bei einem Unfall oder einer Vergewaltigung? – Bei einer Vergewaltigung, weil ein Täter da ist. – Genau, ein Verkehrsunfall wäre eher Zufall, bei Täterkontakt ist das Erleben von Ohnmacht größer.

Im Fall steht noch, dass er manchmal abwesend wirkt. Was könnte das sein? – Depersonalisations- / Derealisationserleben. – Genau.

Wie gehen Sie mit dem Hinweis um, dass er täglich Wein trinkt abends? – Ich würde genau nachfragen wie viel, ob es auch Tage ohne gibt, ob er bereits körperliche Auswirkungen davon bemerkt, ob er Entzugssymptome bemerkt. – Welche Diagnosekriterien gibt es für eine Abhängigkeit denn noch außer den erwähnten Entzugssymptomen und dem Kontrollverlust? – Das Craving, also starke Verlangen nach Alkohol, eine Toleranzentwicklung, schädliche Wirkung und trotzdem weitermachen (z.B. bei einer Gastritis) und Vernachlässigung von Interessen / sozialen Kontakten zugunsten des Alkoholkonsums. – Genau. Welche Folgeschäden gibt es bei Alkohol? – Gastritis, Pankreatitis, Leberschäden, Polyneuropathie, Krebs, Gehirnschäden. – Welche Gehirnschäden sind das vor allem? – Korsakow-Syndrom und Wernicke-Enzephalopathie – Genau.

Welche Hilfen / Hilfestellen gibt es denn für Alkoholabhängige? – Die Beratungsstellen des SPD und vor allem Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker oder das Blaue Kreuz. – Welche noch? – Hmmm…? - Wenn jemand jetzt motiviert ist, aufzuhören zu trinken..? – Ah, dann sind wir schon in der Motivationsphase. Dann würde er danach in der Entgiftungsphase in eine Klinik, danach zur Entwöhnung in eine spezialisierte Klinik, in der er das Leben ohne Alkohol lernt. Danach die Nachsorgephase zuhause. Leider schaffen nicht viele es, dauerhaft trocken zu bleiben. – Ja. Wichtigster Ansprechpartner auch in der Nachsorgephase sind die Suchtberatungsstellen!
Was sind denn die Gefahren beim Alkoholentzug? – Man kann schon beim Entzugssyndrom ohne Delir Krampfanfälle bekommen, mit Delir führt es unbehandelt in 20% der Fälle zum Tod. – Was sind die Symptome eines Delirs? – Bewusstseinsstörungen, Orientierungsstörungen zu Zeit, Ort, Person, vegetative Erscheinungen wie Zittern, Schwitzen, Tachykardie, Bluthochdruck, Polyurie, erhöhte Suggestibilität, Nesteln, optische Halluzinationen, Verwirrtheit… (wollte noch sagen: Hyper- und Hypoaktivität, oft plötzlich wechselnd, aber es reichte ihm schon).

Wir sprachen vorhin ja auch schon über Suizidalität. Welche Fragen würden Sie da stellen? – Ich würde das Thema direkt ansprechen: Bei dieser Diagnose haben manche Menschen den Gedanken, dass es besser wäre, wenn ihr Leben beendet würde. Kennen Sie solche Gedanken? Wie nahe ist Ihnen das Thema Suizidalität? Ich würde nach Plänen und Projekten für die nächsten Wochen und Monate fragen, insbesondere, wenn es schon akuter erscheint. (Der Satz war nicht die perfekte Antwort, das würde man ja eher erst in der Entschlussphase machen) – Ja, und Sie sollten auch nach konkreten Suizidplänen fragen und ob die Gedanken sich passiv aufdrängen oder noch aktiv intendiert sind. Und auf der anderen Seite, wonach würden Sie fragen, wieso es sich lohnen könnte am Leben zu bleiben? – Nach der sozialen Einbindung, Familie, Freunde, auch nach Sinn wie ein Projekt, mit dem ein Erkrankter anderen mit derselben Diagnose helfen möchte. – Genau, und auch nach Religiosität, für manche verbietet es sich ja schon aufgrund der Religion, Suizid zu begehen.

Mit Blick auf die Uhr: So, ich denke, das war es dann auch… Sie haben natürlich bestanden. Sie haben sehr viel Wissen gezeigt. Bei den Gesetzen ist es noch ziemlich theoretisch (ach was!), die haben Sie gut auswendig gelernt, aber die praktische Umsetzung werden Sie dann jetzt in der Zukunft mehr und mehr erfahren (hoffentlich nicht, ich will ja gar niemanden in der Praxis haben, den ich unterbringen lassen muss!).

Das war’s. Entgegen allen Befürchtungen war es ein sehr sehr angenehmes Gespräch, lustig fand ich tatsächlich, wie wichtig es ihm war, mir zu jedem Thema noch etwas beizubringen (das berichten ja viele). Ich bin sehr erleichtert und möchte für alle angehenden Prüflinge noch einmal betonen, was in fast jedem Prüfungsprotokoll steht: Die Prüfer sind total freundlich, die Prüfungssituation ist sehr angenehm und es kommt überhaupt nicht darauf an, null Fehler zu machen und 100% zu wissen. Ich wünschte, ich hätte das vorher geglaubt, dann wäre ich etwas weniger angespannt gewesen. Zu dieser wohlgesonnenen Einstellung passt übrigens auch, dass exakt gegenüber den zwei Wartestühlen im Flur (also absichtlich) der Aushang mit der Bestehensquote der letzten Jahre ist: HP Psych. Prüfung in Lichtenberg 2018-2020: schriftlich 60-79%, mündlich 92-94%! Wer es bis zur mündlichen geschafft hat, besteht sie sehr sicher auch. Dazu kann ich sehr empfehlen, in Ergänzung zum Unterricht in einer Lerngruppe regelmäßig Prüfungsfälle zum jeweils durchgenommenen Thema durchzuspielen – die Frage- und Herangehensweise ist einfach sehr anders als für die schriftliche. Viel Erfolg!


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