Mündl. Prüfung Tempelhof/Schöneberg am 10. Mai 2011 Katrin
Berlin, 23. Mai 2011
Lieber Herr Rehork, liebe angehende Prüflinge!
Am Mi, 10.5.2011 war ich mit zwei weiteren Prüflingen (an diesem Tag überhaupt nur Frauen) nach Tempelhof zur mündlichen Prüfung um 12 Uhr geladen. Der Beginn der Prüfung verzögerte sich dann aber noch um 20 Minuten (Nachgespräch mit der vorangehenden Prüfgruppe), was vor allem meine beiden Mitstreiterinnen etwas nervös machte.
Wir wurden von Dr. Finger (SPD Tempelhof/ Schöneberg) und zwei Damen (Namen vergessen) aus dem Heilpraktikerverband freundlich begrüßt. Die Prüfung fand an diesem sehr heißen Tag in einem der Sonnenseite zugewandten kleineren Raum statt, die Jalousien waren halb runtergelassen, trotzdem eine brüllende Hitze und stickige Luft. Wegen der obligatorischen Aufnahme (kleines Diktiergerät auf dem Tisch) wurde das Fenster bald geschlossen und los gings.
Ich hatte als letzte den Raum betreten und saß von mir aus gesehen rechts außen vor dem kleinen Tisch in der Mitte. Wir hatten uns hinsichtlich der Reihenfolge nicht abgesprochen und insgeheim hoffte ich darauf, als Erste beginnen zu dürfen - mein Wunsch wurde wahr. Dr. Finger, ein sehr angenehmer, freundlicher Mittvierziger, mit jungenhafter Ausstrahlung, also überhaupt nicht bedrohlich wirkend, begann gleich mit einem Fall.
Ein 25jähriger Mann kommt in die Praxis und berichtet, er wisse eigentlich gar nicht so genau, warum er hier sei. Seine Freundin habe ihn hergeschickt, er sei manchmal so schwierig, sie hielte es kaum noch aus. Was tun sie?
Zunächst beginne ich mit den üblichen Anamnese-Punkten, frage nach Name, alter, Wohnort, Familien- und Lebenssituation, nach Beschwerden, körperlichen oder psychischen Veränderungen oder Auffälligkeiten. So recht kommt da nichts, er studiert irgendetwas Technisches, käme mit der Uni im Großen und Ganzen auch ganz gut zurecht, Familie wohnt woanders, Kontakt gäbe es, Beschwerden so habe er keine. Ich kläre zunächst Wahn und Schizophrenie ab, doch da ist nichts. Ich frage dann, was denn seine Freundin an oder mit ihm zu beklagen habe.
Er habe immer wieder mal Zeiten, da bekäme er nichts auf die Reihe. Ginge dann nicht aus dem Haus, auch nicht zur Uni. Das ginge manchmal einige Wochen, aber dann gehe es meistens wieder. Ich tippe in Richtung Depression, will genaueres erfragen, um Dysthymia oder depr. Episode zu unterscheiden. Dr. Fingers Frage, muss dieser Patient überhaupt weiter kommen, bejahe ich, da die depr. Episode, so es denn eine ist, sich auch verschlimmern kann und auch wenn der Patient derzeit kein Krankheitsgefühl hat, so sieht zumindest seine Freundin ein Problem. Das gehört erstmal abgeklärt. Hier fragt Dr. Finger nach, wie ich denn weitere Infos erhalten könne, der Patient rückt nicht so recht raus, es bleibt allerhand unklar. Wie kann ich an weitere Infos kommen?
Die Freundin befragen.
Rufen Sie die einfach an?
Nein, ich bitte den jungen Mann, seine Freundin zu einem Termin mitzubringen, um mit den beiden gemeinsam zu sprechen.
Der Patient kommt nun schon das vierte Mal zu mir, er habe zeitweise auch Schlafstörungen, Früherwachen, käme dann aber gar nicht aus dem Bett. Meine Vermutung hinsichtlich einer depr. Episode hat sich verdichtet, Suizidalität ist erfragt, er äußert einen gelegentlichen passiven Todeswunsch, nämlich einfach morgens nicht mehr aufzuwachen, hat aber keine konkreten Suizidpläne oder –wünsche.
Es gäbe aber auch Zeiten, da sei er sehr aktiv, könnte ganze Nächte durcharbeiten und Sachen basteln, oder ginge mit Freunden aus und würde feiern.
Ich taste mich in Richtung leichte depr. Episode, schließe somatoforme Störungen erst mal aus, erwäge evtl. eine Manie oder eher Hypomanie, müsse noch genauer erfragt werden. Frage nach Alkoholkonsum, Drogen, Medikamenten, die Antwort gibt keinen Hinweis auf Missbrauch, was natürlich noch nichts sichert. Da der junge Mann in seinen „aktiven“ Phasen bislang keinen exzessiven Mist macht, z. B. viel Geld ausgibt, Uni abbricht o.a.m. wird es sich derzeit nicht um eine Manie handeln. Wie gehe ich derzeit in der Therapie vor? Regelmäßige Termine vereinbaren, Konflikte im Umfeld mit Familie, Freundin, Freunden, Uni erfragen, stützende Therapieformen, bei Verschlechterung evtl. zum Facharzt schicken, wegen terminierter zusätzlicher medikamentöser Behandlung.
Der junge Mann ist längere Zeit mein Patient und nun beginnt er lauter Autos zu kaufen, um sie gewinnbringend weiter zu verkaufen. Er tritt überzeugend auf und kann die Wagen kaufen, verschuldet sich aber in kurzer Zeit.
Ich vermute, dass er nun doch in eine manische Phase gerutscht ist. Da der Patient nicht einsichtig ist, schlage ich eine Betreuung (z.B. durch Angehörige oder auch bestellte Betreuer) oder bei zugespitzter Problematik eine zeitweise Unterbringung nach dem Psych-KG in einer Klinik vor. Da mächte Dr. Finger wissen, wie lange er dort bleiben kann, wer das anordnen kann, wie der Patient nun in die Klinik kommt. Abschließend möchte Dr. Finger noch wissen, was bei der Manie als Rezidivprophylaxe empfohlen wird. Er möchte Lithium und Carmazepin hören.
Dann beendet er die Prüfung, bedankt sich und 20 Minuten sind vorbei.
Meine Nachbarin erhält den Fall einer Frau, Anfang 20, die etwas unentschlossen mit merkwürdigen Vorstellungen über ihre Umwelt in die Praxis kommt. Sie lebt allein, geht schon lange nicht mehr arbeiten, Freunde hat sie auch keine, Familie wohnt weit weg. Sie habe von dieser Therapeutin gehört und ist überzeugt, dass nur sie ihr helfen könne. Irgendwie sei sie nicht glücklich. Ihr letzter Freund habe ich sich vor einigen Monaten von ihr getrennt, sie wisse auch nicht warum. Meine Nachbarin klärt Wahn und Schizophrenie ab, doch da ist nichts. Dann geht es in Richtung Borderline, Dr. Finger fragt, wie sie das erkennen könne. Sie zählt die möglichen Symptome auf, die Idee der „Super-Therapeutin“ erinnert an das Borderline-typische Beziehungsmuster. Suizidalität, Selbstverletzung, Alkoholismus- da vertieft sie und wird nach der häufigsten Form gefragt (Gamma-Trinker)- Drogen, Tabletten. Es stellt sich heraus, dass die junge Dame täglich abends eine halbe Flasche Schnaps trinkt, da könne sie so gut schlafen. Entzug ist nun Thema, wo und wie. Muss die Entwöhnungsphase stationär durchgeführt werden? Nein, sei hier aber empfehlenswert, in Anbetracht der Lebensumstände (allein lebend, kein soziales Netzwerk, keine Arbeit, Borderlinerin mit Impulskontrollverlust etc.).
Dann geht es noch um das Vorgehen in der Therapie, was hinsichtlich der Therapeut-Patient-Beziehung zu erwarten ist (Abbruch, plötzliches Kippen der Beziehung, fehlende Kontinuität), Deshalb supportives Vorgehen, soziale Einbindung stärken, Interessen entwickeln, Tagesablauf strukturieren, Suizidalität immer gewahr sein etc.
Dann war auch meine Nachbarin fertig.
Die dritte im Bunde konnte leider an diesem Tage nicht geprüft werden, weil sie 10 Min. nach Beginn meiner Prüfung mit Schwindel und Übelkeit aus dem Raum gehen musste. Sie wurde draußen von einer der Beisitzerinnen versorgt und betreut, später auch noch von einer Ärztin aus dem Haus untersucht. Die kurze Unterbrechung hat mich glücklicherweise nicht sehr irritiert, Dr. Finger kam auch nach wenigen Minuten zurück und schlug vor, die Prüfung ohne zweite Beisitzerin fortzusetzen, was ich auch gerne annahm.
Dr. Finger gratulierte uns beiden zur bestandenen Prüfung und fragte uns nach unseren weiteren Plänen. Übrigens haben an diesem Tag alle ihre Prüfung bestanden.
Dann verabschiedeten wir uns, holten die Bankverbindung von der Sachbearbeiterin, bezahlten die Gebühr bei der Post (kostet 5 € extra für Bareinzahlung!) und holten glücklich und leicht benommen um 14 Uhr unsere Urkunden ab. Die erkrankte Kollegin wurde freundlich umsorgt und erhielt gleich einen neuen Prüfungstermin eine Woche später.
Ich bin sehr froh, diese mündliche Prüfungssituation vorher einmal mit zwei Mitstreitern und auch einmal mit Ihnen, Herr Rehork, geübt zu haben. Es ist wirklich etwas anderes, die Störungen und Erkrankungen anhand der Merkmale oder Symptome runter zu beten oder sie an konkreten Fällen Schritt für Schritt zu entwickeln. Das Sprechen darüber und in Zusammenhängen Denken will auch geübt sein.
Inhaltlich fand ich es letztlich einfacher als erwartet, ich konnte mich Schritt für Schritt vortasten, es wurde keine „wie aus der Pistole geschossene Antwort“ erwartet. Also – was auch schon in anderen Berichten zu lesen war- unbedingt alles sagen, was irgendwie einfällt. Es geht um einen Abklärungsprozess, nicht um eine Schnelldiagnose. Der Fall wird auch erst Stück für Stück aufgedeckt, die Infos sind nicht gleich alle auf dem Tisch. Angenehm war überdies sicherlich auch die freundliche Prüfungsatmosphäre mit Dr. Finger und den Beisitzerinnen.
Eine der zuständigen Sachbearbeiterin erwähnte, dass Dr. Finger leider in Zukunft nicht mehr die Prüfungen abnehmen wird. Es soll ein Psychiaterin Frau Dr. Hesse aus Lichtenberg werden, Dr. Dudel möchte unbedingt mit ihr zusammen auch noch in Tempelhof prüfen. Das wird in Tempelhof sehr bedauert, nicht zuletzt auch von Dr. Finger selbst, der diese Prüfungen gerne abgenommen hat. Aber Stellenstreichungen in seinem Bereich machen ihn im SPD unabkömmlich.
Vielen Dank, lieber Herr Rehork, für Ihre unermüdliche und plastische Art zu erklären und zu zeigen, wie diese Störungen aussehen. Ich habe gerne und viel bei Ihnen gelernt. Bin aber trotzdem froh, dass das jetzt vorbei ist. Ihnen alles alles Gute!
Allen, die es noch vor sich haben, wünsche ich viel Glück und viel Erfolg.
Ich drücke euch die Daumen!
Alles Gute
Katrin