Tempelhof, 2.5.2022

#1 von Thomas Rehork , 03.05.2022 22:30

Herzlichen Dank für die Wegbegleitung und -weisung.

Die Mitprüflingin und ich warteten im Flur und tauschten uns aus, wer von uns anfangen würde, wenn wir die Wahl haben. Sie war bereit zu starten, was mir recht war. So kam es dann auch, nachdem die SpD-Ärztin und der HPP-Beisitzer sich vorgestellt hatten.
Jede von uns bekam eine Fallfrage nach frei gewählter Zufallsnummer zwischen 1 und 8 und eine Rechtsfrage.
Hier der SPOILER: Wir haben beide bestanden. Es folgt der detaillierte Bericht.


ERSTER DURCHLAUF (Mitprüflingin)

1. Fallfrage (Fall 6)

Eine 30jährige Frau kommt zu ihnen in die Praxis und klagt, dass sie seit 2 Jahren an Bronchitis leide. Zudem Brust- & Bauchschmerzen, auch Durchfall, Kribbeln. Ultraschall, Gastro- und Koloskopie hätten keinen verdächtigen Befund ergeben. Im Gegensatz zu den Ärzten sei sie überzeugt, dass die Beschwerden eine körperliche Ursache hätten. Sie taste ihren Bauch selbst regelmäßig ab, um etwaige Knötchen zu erspüren. Sie war im letzten Jahr insgesamt 40 Tage krank und sei insgesamt nicht leistungsfähig.

a) Die Mitprüflingin stellte im Rollenspiel folgende Fragen und erhielt die dahinterstehenden Antworten:
- Also nichts Organisches? - Na ja, laut den Ärzten nicht...
- Auslöser? - Trennung des Freundes vor 2,5 J. nach 7 J. mit Zusammenwohnen und alles.
- Schon mal Hilfe geholt? - Nein.
- Stimmungslage? - Schaffe nichts mehr, bin alleine, traurig, lustlos.
- Freizeitaktivitäten? - Corona schränkt ja vieles ein, früher habe ich gern mal Leute getroffen oder bin ins Kino, aber seit Corona nicht mehr.
- Form der Arbeitsunfähigkeiten? - Nicht am Stück. 2-3 Wochen schaffe ich schon und dann brauche ich eine Pause.
- Vegetative Symptome? - Nein.
- Ängste? - Nein.
- Bei der gedrückten Stimmung auch Suizidalität? - Na ja, so abstrakte Gedanken wie "Was mache ich hier noch?" und "Wer würde mich schon vermissen?", aber das geht wieder weg und ich wäre zu feige.

b) Die Prüferin machte einen Cut und fragte nach der Verdachtsdiagnose und erhielt folgende Antworten:
- Somatisierungsstörung: Alter, Geschlecht, Dauer, Geschichte würden passen; ebenso der Leidensdruck, die AU = sekundärer Krankheitsgewinn, depressive Stimmung
- evtl. Depression: wäre genauer zu untersuchen

c) Die Prüferin fragte nach den möglichen Ursachen/begünstigenden Faktoren in der Vorgeschichte und erhielt folgende Antworten:
- Familiäre Veranlagung
- Anfälligkeit (Vulnerabilität)
Die Prüferin ergänzte:
- Belastende Bindungserfahrungen
- Schlechter sozioökonomischer Status
- Substanzmissbrauch in der Familie (höhere Komorbidität)
- Herkunft aus südlichem Kulturkreis (Mittelmeer, Nahost) --> larvierte Depression sei dort akzeptierter, ggf. auch die hysteriforme, z.B. sehe man das jetzt bei Afghanen; in den 70er/80er Jahren hätte man bei sowas von einer "vegetativen Dystonie" gesprochen.

d) Die Prüferin fragte nach der bevorzugten/geeigneten Therapieform und war mit der Antwort "Verhaltenstherapie" zufrieden.


2. Rechtsfrage

Ausgehend vom Fall: Wenn die Frau jetzt in eine schwere existenzielle Lage rutschen würde, wie könnte man ihr da raushelfen?

> Betreuung
- auf Antrag oder von Amts wegen
- Gericht entscheidet
- Aufgabenkreis wird festgelegt
- evtl. Verfahrensbeistand
- Prüferin: Wie lange? - max. 7 Jahre, dann Überprüfung
- Prüferin ergänzt: Falls ein Bipolarer die B. nicht mehr will, kann er Antrag auf Aufhebung stellen. Das B'Gericht prüft das dann und holt dafür ein neues fachärztl. Gutachten ein.
- Prüferin ergänzt: Der Betreuer muss Bericht ablegen - In der Praxis passieren die dollsten Dinge, was die Betreuer so machen, das sei zum Teil kaum zu glauben...



ZWEITER DURCHLAUF (ich)

1. Fallfrage (Fall 1)

Ein 61jähriger Mann kommt zu Ihnen in die Praxis und klagt, er sei in den letzten Monaten so erschöpft, würde seinen Hobbys nicht mehr nachgehen, müsse sich zwingen, den Hund auszuführen und den Vogel zu versorgen, bearbeite Mails und Briefe erst nach langer Zeit. Die Arbeit falle ihm schwer, er brauche für alles länger, er könne sich auch nichts mehr merken. Am liebsten würde er sich krankschreiben lassen, aber dann würde er ja den Job verlieren und alles andere auch verlieren.

a) Ich stellte im Rollenspiel folgende Fragen und erhielt die dahinterstehenden Antworten:
- Wie lange genau geht das schon so? - An meinem 61. Geb. im Oktober ging's mir noch gut, aber danach ging's los.
- Waren Sie schon beim Arzt, um abzuklären, dass nichts Organisches dahinter steckt? - Nein.
- Substanzen oder Medikamente? - Nein.
- Wo und als was arbeiten Sie? - In der Verwaltung, als Angestellter. Aber ich vergesse immer alles, auch wenn mein Chef sagt, meine Leistung sei OK; aber wahrscheinlich kriege ich Alzheimer.
- Wie sieht Ihr Schlaf aus? - Täglich 10-12 Stunden und trotzdem nicht erholt.
- Soziales Umfeld? - Bin schon lange alleine. Freundin hat sich vor 5 J. getrennt; kinderlos; keine Freunde.

b) Die Prüferin machte einen Cut und fragte nach der Verdachtsdiagnose und erhielt folgende Antworten:
- depressive Episode
- evtl. Wahn (Krankheitswahn, Verarmungswahn), dann wäre es auf jeden Fall eine schwere; da würde ich noch bohren, ob er wirklich überzeugt ist. <> Prüferin: Das hat er ja mehrfach zum Ausdruck gebracht, das ist bei dem nicht korrigierbar.

c) Die Prüferin ging noch auf einige Einzelaspekte ein und fragte genaue r nach und erhielt folgende Antworten:
- Was meinen Sie mit "Substanzen"? - Alkohol oder Drogen. - Gut, in der Praxis mögen wir es konkret. So wie wir auch nicht mit Patienten von einer "Störung" reden, sondern von "Krankheit".
- Was könnte man noch fragen? Was ist noch typisch? - Appetit- und Gewichtsverlust. Suizidalität. - Ja, richtig. Aber auch das Gegenteil von Gewichtsverlust kommt häufig vor, zu beachten.
- Gut, dass Sie nach dem Schlaf gefragt haben. Welche Schlafstörung hat er? - Morgentief. - Das ist keine Schlafstörung, sondern ein somatisches Symptom. Aber er hat Ihnen ja gesagt, dass er ganz viel schläft. Wie nennt man das? - Hypersomnie. - Richtig. Welche Schlafstörungen gibt es noch? - Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Früherwachen. - Ja. Bei Früherwachen müssen Sie dann ggf. nachfragen, wann der Mensch ins Bett geht, vielleicht ist es ja logisch. Wann ist Früherwachen als Schlafstörung einzuordnen? - Wenn es deutlich früher als vor dem Ausgeschlafensein passiert. - Ja, also wenn es deutlich früher als notwendig erfolgt. Übrigens gibt es auch Patienten, die haben mehr als nur ein Morgentief, denen geht es 6-8 Stunden mies und sie bleiben bis 14 Uhr im Bett und ab dann geht's ihnen schlagartig besser, als wäre ein Schalter umgelegt. Gelegentlich gibt es auch ein Abendtief, das kann auch vorkommen.
- So, jetzt sagten Sie ja bereits, der Patient hätte eine depressive Episode. Was müsste man da noch fragen? - Ob er es schon mal hatte oder ob er schon mal energiegeladene Powerzeiten hatte. - Wie würde man letzteres dann nennen? - Bipolar.
- Wie ist das mit der Vergesslichkeit? - Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können bei Depressionen durchaus vorkommen. Hier sagt er ja, sein Chef sei zufrieden mit seiner Performance. Daher ist die Frage, ob es nicht nur subjektiv oder doch objektiv so ist. - Wie findet man das heraus? - Durch neurologische Tests. - Wenn er nicht vergesslich wäre, was wäre das dann? Das kam ja auch in der schriftlichen Prüfung dran. (!) - Depressive Pseudodemenz. - Wie zeigen die Kandidaten sich bei Test? - Unwillig, unkooperativ, "Ich kann das sowieso nicht". - Ja, das ist sehr typisch.

2. Rechtsfrage

Ausgehend vom Fall: Stellen wir uns also vor, der Mann ist ohne Lebensfreude und hat eine wahnhafte Störung und entwickelt dann eine Suizidalität. Was kann oder muss man dann machen?
- Zwangseinweisung
- Feuerwehr oder Polizei rufen oder im Taxi zur Klinik begleiten
- Wer entscheidet, ob er da bleiben muss? - Der Richter, der muss bis zum Ablauf des Folgetags entscheiden.
- Auf welcher Grundlage entscheidet er das? - PsychKG.
- Ja und wie kann er die Notwendigkeit beurteilen? - Er verlässt sich auf das Gutachten des Arztes.
- Welcher Arzt? - Der aufnehmende/behandelnde Arzt. - Nein!, dieser nur vorläufig, sonst muss es ein SpD-Arzt sein (der SpD ist Mo-Fr 8-16 Uhr bereit)! In Brandenburg ist das allerdings anders, weil die so wenig Ärzte haben....
...Sie haben aber trotzdem bestanden. Herzlichen Glückwunsch!


Es herrschte eine würdig ernste, aber zugleich freundliche, wohlwollende Atmosphäre. Einzelne Lücken wurden verziehen und ich wurde an manchen Stellen auch etwas geführt und bin so sicher ans Ziel gekommen, befriedigende Antworten zu geben. Also doch keine Gefahr bzw. nicht mehr für die Volksgesundheit - juhuuu!

Einen großen Dank an Thomas Rehork für den Unterricht und den Powerkurs und die mündliche Prüfungssimulation! Es war sehr interessant und auch sehr nett und spaßig für mich.

Mein Tipp an alle Beginner, v.a. solche die nicht schon im sozialen oder therapeutischen Bereich arbeiten: Fangt frühzeitig an, Euch mit den Inhalten, der Sprache und der Denke der Psychiatrie vertraut zu machen, z.B. auch indem Ihr Euch Dokus über das menschliche Gehirn und psychische Störungen auf YouTube anschaut. Ich habe den Online-Kurs zweimal durchlaufen, weil es mir unrealistisch erschien, mich so früh zur Prüfung anzumelden, ohne gepaukt zu haben. Selbst beim zweiten Kursdurchlauf hatte ich das Gefühl, zu spät mit dem Büffeln angefangen zu haben. In der schriftlichen Prüfung hatte ich auch 5 Fehler. Aber es gibt ja keine Note, sondern nur Bestanden oder nicht!

Viele Grüße
Paula

 
Thomas Rehork
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